Zerstörtes Haus

Stadtarchiv

Bild (Bildlizenz/Fotograf/Grafiker): Archiv Erwan Langeo, Bordeaux

Heinz Stahlschmidt: Der Dortmunder, der den Hafen von Bordeaux rettete

Stefan Klemp

Heinz Stahlschmidt

Waffenoberfeldwebel Heinz Stahlschmidt.
Bild (Bildlizenz/Fotograf/Grafiker): Archiv Erwan Langeo, Bordeaux

Als der Marinesoldat Heinz Stahlschmidt am 19. August 1944 in Bordeaux den Befehl erhielt, Vorbereitungen für eine Sprengung des Hafens der französischen Küstenstadt mit 250.000 Einwohnern zu treffen, geriet er in einen schweren Gewissenskonflikt.

Heinz Stahlschmidt, geboren am 13. November 1919 in Dortmund, machte nach der Schule eine Lehre als Klempner und Installateur. Er war ein Kind der Nordstadt. Später wohnte seine Familie an der Sonnenstraße.

1939 meldete sich der 20jährige freiwillig als Maschinen-Maat zur Kriegsmarine. Der erste Einsatz Stahlschmidts endete in einem Desaster. An Bord des Panzerkreuzers Blücher wurde er am 9. April 1940 bei Oslo das erste Mal schiffbrüchig, trieb mit der Schwimmweste stundenlang im Wasser.

Insgesamt gingen 1940 innerhalb von sechs Monaten drei Schiffe mit ihm unter. Er überlebte jedes Mal nur knapp. Gesundheitlich angeschlagen meldete er sich zum Dienst an Land. Im August 1940 erhielt er das Eiserne Kreuz 2. Klasse.

Eisernes Kreuz

Im August 1940 erhielt Heinz Stahlschmidt das Eiserne Kreuz 2. Klasse.
Bild (Bildlizenz/Fotograf/Grafiker): Archiv Erwan Langeo, Bordeaux

Im April 1941 kam er zur Marine Ausrüstungsstelle in Bordeaux-Bassens. Die deutsche Marine hatte in Bordeaux einen wichtigen U-Boothafen und ein Marinelazarett.

Als Waffen-Oberfeldwebel gehörte er in Bordeaux dem "Sperrwaffenkommando" an und arbeitete als Feuerwerker. 1943 wurde er Waffenmeister in der Rue du Couvent.

Die Alliierten landeten am 6. Juni 1944 in Frankreich und rückten immer weiter vor. Die deutschen Soldaten sollten „verbrannte Erde“ hinterlassen.

Hafenkommandant Ernst Kühnemann erhielt den Befehl, den Hafen von Bordeaux und die Brücke über die Garonne, Pont de Pierre, zu sprengen. Auf zehn Kilometer Länge brachten deutsche Soldaten am Quai des Hafens schwere Sprengsätze an, die Menschenleben gefährdeten und die Lebensgrundlage der Stadt vernichtet hätten. Zwischen der Halbinsel Médoc und den Schlachthäusern alle 50 Meter ein Sprengsatz, beiderseits der Pont de Pierre, auch an den Kränen des Hafens. Waffen-Oberfeldwebel Heinz Stahlschmidt war an den Vorbereitungen beteiligt.

Portraitfoto

Bild (Bildlizenz/Fotograf/Grafiker): Archiv Erwan Langeo, Bordeaux

In drei Jahren hatte er die Stadt und ihre Bewohner lieben gelernt, so wie vorher nur seine Heimatstadt Dortmund. Heinz Stahlschmidt hatte schnell Französisch gelernt und Kontakte zur Bevölkerung geknüpft. Mit französischen Hafenarbeitern, die ihm unterstellt waren, aß er zu Mittag. Er las die Lokalzeitung und rauchte Gauloises.

Die Zerstörung des Hafens erschien ihm unrecht. Der Befehl war sinnlos, der Krieg verloren. Es würde Tote in der Zivilbevölkerung geben. Er sprach mit einem französischen Freund, dem Hafenarbeiter Jean Ducasse. Der hatte Kontakte zum französischen Widerstand. Um den Zerstörungsplan zu verhindern, sollte der Bunker an der Rue Raze gesprengt werden. Dort lagerten 4000 Zünder, Munition, Sprengstoff und Lunten. Material, das für die Sprengung des Hafens notwendig war.

Heinz Stahlschmidt befürchtete, die Sprengung würde noch vor Ende August erfolgen.

Bis zum 22. August traf er Willam Dupuy von der Resistance viermal. Er hoffte, dass Franzosen den Bunker sprengen würden, aber die Resistance lehnte ab. Er musste es selbst machen. Seine Kontaktleute bei der Resistance boten ihm am Morgen des 22. August nur an, ihn nach der Sprengung zu verstecken. Er musste das Risiko eingehen.

Der Oberfeldwebel wollte Opfer vermeiden. Er gab einer Gruppe Soldaten dienstfrei und schickte die Wachen weg. Dann legte er die Lunten, zündete sie an und floh mit dem Fahrrad. Im Volkspark hörte er nach 20 Uhr die gewaltige Explosion. Einige deutsche Soldaten und einige Franzosen kamen gegen seinen Willen ums Leben.

Zerstörtes Haus

Durch die gewaltige Explosion am 22. August wurde nicht nur der Munitionsbunker komplett zerstört, sondern auch ein gegenüber liegendes Haus beschädigt.
Bild (Bildlizenz/Fotograf/Grafiker): Archiv Erwan Langeo, Bordeaux

Familie Dupuy nahm Heinz Stahlschmidt auf. Seine Uniform wurde verbrannt. Er war Deserteur. Polizei und Gestapo suchten ihn. Bis Kriegsende versteckte er sich bei Familie Moga. War er bisher für die Deutschen ein Verräter, wurde er nach 1945 auch in Frankreich zum Außenseiter.

Die Resistance verweigerte ihm nach 1945 die Anerkennung. Sie konnte nicht akzeptieren, dass ein Deutscher die Zerstörung des Hafens von Bordeaux verhindert hatte. Ehemalige Mitstreiter vertuschten seine Rolle. Sie sollten als Retter von Bordeaux gelten, nicht Heinz Stahlschmidt.

Stahlschmidt hatte seine Freundin Henriette 1947 geheiratet, seinen Namen in Salmide geändert und war französischer Staatsbürger geworden. Dem Hafen blieb er als Mitarbeiter der Feuerwehr treu.

Erst die Berichte des Journalisten Christian Seguin von der Zeitung Sud-Ouest bewirkten in den 1990er Jahren die Wende. Seguin entlarvte die offizielle Version über den 22. August 1944 als Lüge.

Im Jahr 2000 wurde Stahlschmidt-Salmide Ritter der französischen Ehrenlegion. Seit 2012 trägt der Hafen von Bordeaux seinen Namen. Im Ortsteil Bacalan wurde eine Straße nach Heinz Stahlschmidt benannt. Erwan Langeo hat eine Biografie Stahlschmidts geschrieben. Eine deutsche Übersetzung ist geplant.

2001 kam er an einem Karfreitag nach Dortmund. Christian Seguin schrieb dazu: "Der Dortmunder Oberbürgermeister kommt nicht, um ihm die Hand zu drücken." Heute gibt es Überlegungen, eine neue Straße nach ihm zu benennen. Henri Salmide starb am 23. Februar 2010 in Bordeaux.

Straßenschild

In Bordeaux gibt es eine Straße, die nach Heinz Stahlschmidt benannt ist. Bald auch in Dortmund?
Bild (Bildlizenz/Fotograf/Grafiker): Archiv Erwan Langeo, Bordeaux