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Objekt des Monats
Zu Beginn eines jeden Monats werden Schätze aus der Sammlung des Museums als Objekt des Monats präsentiert und den Besucher*innen vorgestellt. Das aktuelle Objekt des Monats kann ab dem ersten Tag des Monats in der Dauerausstellung besichtigt werden.
Sie möchten gerne ein Exponat aus einem bestimmten Sammlungsbereich oder zu einem ausgewählten Thema sehen? Dann richten Sie Ihre Wünsche und Anregungen an unsere Mitarbeiterin Joana Maibach und wir gehen für Sie auf die Suche!
Objekt des Monats März 2025
Anna Castelli-Ferrieri, Componibili, Kartell Mailand, 1967-1969

Anna Castelli-Ferrieri (1920–2008)
Componibili
Kartell Mailand, 1967–1969
ABS-Kunststoff, H: 64,5 cm, D: 45 cm
Inv.-Nr. 1994/163
Die Architektin und Designerin Anna Castelli-Ferrieri spielt neben weiteren Designer*innen eine zentrale Rolle im italienischen Design der Nachkriegszeit, nicht zuletzt dank ihres wohl berühmtesten und auch heute noch produzierten Möbels Componibili (dt. modular), welches sie Ende der Sechziger Jahre für die Mailänder Firma Kartell entworfen hat. Der Name ist dabei Programm: designt als modulares und vielseitig einsetzbares Möbelstück aus buntem Kunststoff, verfügbar in rund oder quadratisch, einteilig oder mehrteilig, auf Rollen – wie das Exemplar aus unserer Sammlung – oder ohne. Componibili ist daher nutzbar als praktisches Staumöbel in jedem Raum.
Es ist eines der ältesten Produkte Kartells und stellt zu seiner Entstehungszeit eine Innovation dar, sowohl in seinem Design als auch in seiner Materialität und Herstellung. Denn Componibili ist das erste Möbelstück, das im Spritzgussverfahren und unter Verwendung des damals neuartigen ABS-Kunststoffs hergestellt wurde. Das Einrichtungsobjekt entspricht Castelli-Ferrieris eigenen Anspruch an ihre Entwürfe, Funktionalität und Innovation unter Berücksichtigung aller sich stellenden Anforderungen und Problemen rationalistisch in Einklang miteinander zu bringen. Dabei gibt es für sie keinen Unterschied zwischen Design, Stadtplanung oder Architektur.[1]
Anna Castelli-Ferrieri gehört neben Gae Aulenti (1927–2012), Cini Boeri (1924–2020) und Franca Helg (1920–1989) zur ersten Generation von Designerinnen und Architektinnen der Nachkriegszeit in Italien. Da es in Italien bis in die 1970er Jahre keine spezifische Designausbildung gab, waren die meisten italienischen Designer*innen, die in den 1950er und 1960er Jahren tätig waren, ausgebildete und praktizierende Architekt*innen – und die beiden Bereiche somit eng miteinander verbunden.
Castelli-Ferrieri wurde 1920 in die fortschrittliche Elite Mailands hineingeboren und war damit weniger an konventionelle kulturelle Traditionen und Geschlechterrollen gebunden als viele ihrer Kolleginnen zu dieser Zeit. Architektur und Design sind historisch gesehen männlich-dominierte Professionen, in denen Frauen immer wieder mit konkreten Formen der Diskriminierung, Anfeindungen und schlechteren Arbeitsverhältnissen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zu kämpfen hatten.[2]
Castelli-Ferrieri studierte bis 1943, damals als eine der wenigen weiblichen Studentinnen, Architektur am Politecnico di Milano. Sie arbeitete viele Jahre mit dem Architekten Ignazio Gardella (1905-1999) zusammen und wendete sich erst ab den frühen 1960er Jahren immer mehr dem Möbeldesign zu. Zum Teil lag das wohl auch daran, dass ihr Ehemann Giulio Castelli (1920-2006) mit seiner Firma Kartell ab dieser Zeit Möbel und Wohnaccessoires aus Kunststoff zu produzieren begann. Die Mailänder Firma Kartell wurde 1949 von Castelli, einem Chemieingenieur, gegründet und konzentrierte sich als erstes Unternehmen in Italien auf die Verarbeitung von Kunststoff zu Gebrauchsgegenständen. Die Anfänge lagen in den Bereichen Wissenschaft und Forschung und schließlich auch im Möbeldesign.
Anna Castelli-Ferrieri nahm 1966 zusammen mit dem Architekten und Designer Giotto Stoppino (1926–2011) die Arbeit als Designberaterin für das Unternehmen auf und war von 1967 bis 1987 Art Director in Kartells hauseigenem Designatelier. Sie experimentierte dort mit dem damals neuen Material Kunststoff, aus dem sich ganz neue Herstellungsmethoden eröffneten. Daraus entwarf sie Wohnaccessoires und Möbel, so wie Componibili. Dieser war mit seinen flexiblen Verwendungsmöglichkeiten und seiner weniger formalen Gestaltung der erste Vertreter eines Möbeltyps, der in den 1970er Jahren zum Leitmotiv der Raumgestaltung werden sollte und sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreut.
Literatur:
Jürgs, Britta (Hg.): Vom Salzstreuer bis zum Automobil. Designerinnern, Berlin 2002.
Design Center Stuttgart (Hg.): Frauen im Design. Berufsbilder und Lebenswege seit 1900. Women in Design. Careers and Life Histories since 1900, Band 1-2, Münster 1989.
Massey, Anne: Women in Design, London 2022.
Rossi, Catherine: Furniture, Feminism and the Feminine: Women Designers in Post-war Italy, 1945 to 1970, in: Journal of Design History, Vol. 22, No. 3, Oxford 2009, S. 243-257.
Autor*in: Joana Maibach
[1] Vgl. Koskull, Verena von: Anna Castelli-Ferrieri: Die rationale Schönheit des Kunststoffs, in: Jürgs, Britta (Hg.): Vom Salzstreuer bis zum Automobil. Designerinnern, Berlin 2002, S. 152-162, hier: S. 158.
[2] Vgl. Rossi, Catherine: Furniture, Feminism and the Feminine: Women Designers in Post-war Italy, 1945 to 1970, in: Journal of Design History, Vol. 22, No. 3, Oxford 2009, S. 243-257, hier: S. 248.
Februar 2025
Apothekeneinrichtung, Apotheke Ahlen, um 1800

Apothekeneinrichtung, Apotheke Ahlen
Ahlen, um 1800
Verschiedene Materialien
Inv.-Nr. C 7786, 1985/233.1-14 u.a.
Die Apothekeneinrichtung der ehemaligen Apotheke in Ahlen zeigt eindrucksvoll, wie eine Apotheke des späten 18. bzw. frühen 19. Jahrhunderts aussah. Sie ist ein bedeutendes Zeugnis deutscher Apothekengeschichte. Im deutschsprachigen Raum lassen sich die ersten Apotheken ins 13. Jahrhundert datieren. Im Verlauf des frühen Mittelalters entwickelte sich die Apotheke zu einem Ort, an dem Heilmittel, Gewürze und Kräuter zubereitet, gemischt und zum Verkauf angeboten wurden. Apotheker – dieser Beruf wurde ausschließlich von Männern ausgeübt – stellten von Ärzten verordnete Arzneien her, die in Form von Pulver, Pillen, Tees und Salben ausgegeben wurden. Seit dem 17. Jahrhundert kamen chemische Medikamente hinzu. Das Apothekenwesen orientierte sich an der Constitutiones von Melfi, einer 1231 unter Friedrich II. erlassenen Medizinalordnung. Diese legte unter anderem die Trennung von Arzt- und Apothekerberuf fest, verpflichtete Apotheker zur Herstellung von Arzneimitteln nach einer standardisierten Formelsammlung und unterstellte ihre Tätigkeit der ärztlichen Aufsicht.
Einblick in eine historische Apotheke
Apotheken verfügten über eine Offizin (Werkstatt), die als Arbeits- und Verkaufsraum diente. Dazu kamen das Laboratorium für Untersuchungen und Destillationen, in dem auch ein Dauerbrandofen stand, die Stoßkammer zur Zerkleinerung von Stoffen sowie der Arzneikeller für die Lagerung von Substanzen. Die Inneneinrichtung der Ahlener Apotheke stammt vermutlich aus dem Jahr 1790, während die Apotheke selbst wohl bereits 1729 existierte. Ausgestellt ist die Offizin der ehemaligen Apotheke. Auf der rechten Seite befindet sich ein Fenster, an dem die Kundschaft bedient wurde. Bis ins 19. Jahrhundert war der Kundschaft das Betreten der Offizin nicht gestattet.
Die bis oben hin gefüllten Regale vermitteln einen Eindruck, wie umfassend das Angebot einer solchen Apotheke sein konnte. Zahlreiche Gefäße in unterschiedlicher Form und aus verschiedenen Materialien wie Glas, Keramik, Porzellan, Holz oder Metall hatten ihren festen Platz in den Regalen. Die Standorte der verschiedenen Substanzen waren in einem Register verzeichnet. Sie gliederten sich in Mittel organischer Herkunft (Galenica), mineralogischer Herkunft wie Edelsteine und andere Kostbarkeiten (Preciosa) und Mittel künstlicher Herkunft (Chymica). Die Konsistenz der Mittel bestimmte das Material der verwendeten Aufbewahrungsgefäße. Klebrige Inhaltsstoffe wie Sirupe und Honig lagerten in Kannen aus Fayence oder Porzellan, dünnflüssige Öle, Wässer, Essenzen und Spirituosen wurden hingegen in Glasflaschen aufbewahrt. Holzgefäße waren luftdurchlässig und eigneten sich daher zur Lagerung von Blüten, Wurzeln, Drogen und tierischen Körperteilen. In der Ahlener Apothekeneinrichtung sind die zahlreichen Gefäße nach Material und Substanzen gegliedert. Auch wenn die Gefäße leer sind, lassen sich ihre ursprünglichen Inhalte doch durch ihre Beschriftungen rekonstruieren. Wer genau hinsieht, findet im rechten Regal beispielsweise ein Gefäß mit der Aufschrift „Theriac“. Dabei handelte es sich um das wohl beliebteste Heil- und Universalmittel. Aus der Antike überliefert galt es seit 1546 als „offiziell anerkanntes“ Arzneimittel. Es bestand aus bis zu 60 Ingredienzien, darunter Schlangenfleisch, Honig und Opium. Die Rezeptur und Herstellungsweise wurden von Ärzten und Apothekern streng gehütet.
Auch die ausgestellte Standwaage in der Mitte war fester Bestandteil einer jeden Apotheke. Mit ihrer Hilfe konnten das Gesamtgewicht und die richtigen Mischungsverhältnisse einer Kontrolle unterzogen werden. In großen Mörsern, wie sie sich auch in dieser Apothekeneinrichtung wiederfinden, wurden die verschiedenen Substanzen zerkleinert. Für diese Arbeiten nutzte man einen Rezepturtisch, der eigens zur Herstellung von Arzneimitteln diente.

Vom Apothekerhandwerk zur pharmazeutischen Industrie
Apotheker bezogen ihre Rohstoffe von Drogisten, die mit fremden Gewürzen und Drogen handelten, während heimische Pflanzen oft von sogenannten Kräuterfrauen geliefert wurden, sofern der Apotheker die Kräuter nicht selbst anbaute. Neben Arzneimitteln boten Apotheken auch ein breites Randsortiment an Gebrauchsgegenständen, Genussmitteln, Seifen, Körperpflegeprodukten sowie magischen Heilmitteln wie Amuletten und Mittel der sogenannten „Drecksapotheke“. Unter diesem Begriff lassen sich menschliche und tierische Substanzen fassen, wie etwa Mäusedreck, Menschenfett von Hingerichteten („Armesünderfett“), Knochenmehl, aber auch Teile von Mumien oder seltenen Tieren. Die Wirksamkeit solcher Mittel war lange unbestritten. Erst mit dem Aufstieg der Naturwissenschaften im 18. Jahrhundert wurde diese hinterfragt und etwa zwei Drittel der Rezepturen aus den Arzneibüchern entfernt.
Im 19. Jahrhundert verloren die Apotheken mit der Industrialisierung das Monopol auf die Arzneimittelherstellung an die pharmazeutische Industrie. Seitdem konzentrieren sie sich auf Lagerung, Abgabe und Beratung, stellen aber weiterhin einige Arzneien wie Salben und Teemischungen manuell her.
Literatur:
Huwer, Elisabeth: Kurzer Überblick zur Geschichte der Pharmazie, Deutsches Apothekenmuseum Heidelberg, URL:
Hövel, Gerlinde: Die Dortmunder Apotheken 1502-2020. Zur Entwicklung des Apothekenwesens in Dortmund. Von den Anfängen bis 2020, Münster 2023.
Jütte, Robert: Ärzte, Heiler und Patienten. Medizinischer Alltag in der frühen Neuzeit, München 1991.
Museumshandbuch Teil 1. Von Funden der Steinzeit bis zu Gemälden des 19. Jahrhunderts. Die Schausammlung Abteilung 1-21, Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Stadt Dortmund, Dortmund 1983, S. 406-413.
Rossner, Christiane: Eine kleine Kulturgeschichte der Apotheke. Mörser, Kräuter, Rezepturen, in: Monumente Online, Magazin der Deutsche Stiftung Denkmalschutz, URL:
Vanja, Christina: Medizin, Religion und Magie – Krankheit und Heilung in der Frühen Neuzeit, in: Martin Momberg/Dietmar Schulte (Hg.), Das Verhältnis von Arzt und Patient. Wie menschlich ist die Medizin?, München 2010.
Autor*in: Sophie Ullrich
Januar 2025
Rogier van der Weyden (Werkstatt), Maria auf der Rasenbank, 1425

Rogier van der Weyden (Werkstatt), Maria auf der Rasenbank, 1425
Eichenholz, Öl auf Tempera
74 x 54,5 x 7,2 cm
Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland
Inv.-Nr. LG 8
Die Marienverehrung hat eine große Bedeutung in der Katholischen Kirche und in der Ostkirche. Sie kommt seit dem frühen Christentum in Malerei, Bildhauerei und Architektur zum Ausdruck. Die Zahl der geschaffenen Werke ist unübersehbar. Mit dem Konzil von Ephesos (431 n. Chr.) war Maria offiziell als „theotokos“ (Gottesgebärerin) anerkannt. Seither entwickelten sich verschiedene Bildtypen, auch wurden zahlreiche Marienkirche erbaut. In der frühchristlichen Basilika Santa Maria Maggiore (432 n. Chr.) entstand bereits ein Bilderzyklus rund um das Leben der Maria. Auf mächtigen Mosaiken sind bereits die Verkündigung, die Geburt Christi, die drei Heiligen Könige, die Darbringung Christi im Tempel, der Tod Mariens und schließlich die Krönung der Gottesmutter zu sehen. Im Verlauf der Geschichte unterlagen die Mariendarstellungen in der westlichen Kunst einem großen Wandel, während die byzantinischen Marienbildtypen der Ikonen auf mehr oder weniger festen Regeln der Darstellung basiert blieben. So wurden bereits im Mittelalter Natur- und Landschaftsmotive Teil der bildlichen Darstellung. Mutter und Kind erschienen sehr realitätsnah, das Christuskind wurde lebhaft gemalt. Als Beispiel kann hier das Tafelbild aus der Werkstatt des Rogier van der Weyden (1399-1464) dienen, welches sich als Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland im Museum für Kunst und Kulturgeschichte befindet. Es zeigt Maria mit Kind auf einer Rasenbank.
Die Maltechnik weist ein hohes Können auf. Beide Figuren sind bis ins kleinste Detail sehr realistisch gemalt, was durch die Verwendung von Ölfarben ermöglicht wird. Die Komposition der Figuren lässt sich im Dreieck erschließen. Maria hat einen goldenen Heiligenschein. Sie sitzt vor einem textilartigen, goldfarbenen Hintergrund auf einer rasenbewachsenen, schlichten Ziegelmauer. Sie hat den Kopf leicht gesenkt und blickt graziös nach unten auf ein aufgeschlagenes Buch, das sie mit den filigranen Fingern ihrer rechten Hand hält. Mit ihrer Linken bietet sie dem kleinen Jesus auf ihrem Schoß ein Spielzeug an, das allerdings wenig Interesse findet. Die Aufmerksamkeit des Kindes richtet sich vielmehr auf ein zartes Gänseblümchen am Bildrand. Mit ausgestrecktem Arm und Fingern greift es danach.
Meisterlich ist das Spiel von Licht und Schatten. Ein Lichtspot erhellt von links oben die kleine Gruppe. Das Licht streift die Stirn der Dargestellten und verfängt sich in den großen Falten des Marienkleides. Es blitzt zudem auf der silbernen Krone der Maria auf. Diese Krone ist mit Perlen und Rubinen bestückt und hat lanzettartige Spitzen. Der Maler hat hier Lichtpunkte gesetzt, wodurch eine naturalistische dreidimensionale Wirkung erzielt wird. Bei der Auswahl der Farben weicht der Maler vom Üblichen ab. Seine Maria ist weiß gewandet, was als ein Hinweis auf ihre Jungfräulichkeit, ihre Reinheit, Unschuld und Vollkommenheit zu verstehen ist. Das weiße Gewand Marias wird (rechts im Bild), durch den Maler meisterlich in Schatten getaucht. Das rote Kleid des Kindes steht für Liebe und Opfer. Es deutet schon die Aufopferung Jesu an. Der Garten, in dem Mutter und Kind sitzen, ist ein Hortus conclusus[1], ein geschlossener Garten, zu dem keiner Zutritt hat. Dieser Schutzraum ist ein im Mittelalter sehr beliebtes Motiv. Auf dem Tafelbild wird dies durch eine Wiese mit einzelnen Blumen angedeutet. Neben dem Gänseblümchen sind auch Löwenzahn und eine Walderdbeere zu erkennen. Diese Szenerie ist sehr atmosphärisch und stimmig. Sie drückt Fürsorge und Kraft zugleich aus.
Das Tafelbild wurde nicht von Rogier van der Weyden eigenhändig gemalt, sondern entstand in der Werkstatt des niederländischen Malers. Es kursiert aber auch die Zuordnung „Meister von Flémalle“. Unter diesem Notnamen werden Künstler summiert, die unter dem Einfluss Robert Campins, Rogier van der Weyden und Jaques Daret malten. Flémalle ist eine Gemeinde in der belgischen Provinz Lüttich in der Wallonie.
[1] Hortus conclusus (deutsch „geschlossener oder verschlossener Garten“) ist ein Bildthema oder ein immanentes Bildmotiv der Bildenden Kunst und spielt eine besondere Rolle in der Mariensymbolik.
Literatur:
H.P. Gerhard, " Muttergottes", www.feuilletonfrankfurt.de
Ausstellung unter dem Titel: „Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden“
AKL, De Gruyter, Band 116.
Autor*in: Edyta Gronert
Dezember 2024
Pilgerflasche aus der Aachener Heiligtumsfahrt aus der Spätgotik

Pilgerflasche, um 1500
Raum Aachen/Raeren
Steinzeug, glasiert
17,2 x 13,8 x 6,3 cm
Inv.-Nr. C 5442
Schon seit der Zeit Karls des Großen im 8. Jahrhundert war Aachen als Wallfahrtsort mit seinen vier, im Dom aufbewahrten Tuchreliquien die bedeutendste Pilgerstätte nördlich der Alpen.[1] Ab Mitte des 14. Jahrhunderts gipfelte die Verehrung in der sog. Heiligtumsfahrt, während der die sonst im Marienschrein verschlossenen Heiligtümer den Pilgern präsentiert werden. Zu den alle sieben Jahre stattfindenden, mehrtägigen Feierlichkeiten kommen Gläubige aus aller Welt zusammen, um das Kleid Mariens, die Windel Jesu, das Lendentuch Christi sowie das Enthauptungstuch Johannes des Täufers sehen zu können, da der Anblick dieser Reliquien Segen, Heilung und Erlösung verspricht.
Mit dem immer größer werdenden Andrang von Pilgern in der Stadt Aachen entstand im frühen 15. Jahrhundert bald ein wahrer Wallfahrtstourismus, da mit den Reisenden auch der Bedarf nach Devotionalien in Form von Pilgerzeichen, Flaschen und aus Blei gegossenen Wallfahrtsspiegeln stetig stieg. Die ersten Souvenirläden wurden rund um den Aachener Dom gebaut und es herrschte ein reger Handel, um den hohen Bedarf an Erinnerungsstücken an die Heiligtumsfahrt zu decken. Da alles in Handarbeit gefertigt werden musste, brauchte eine Werkstatt die Zeit von sieben Jahren zwischen den Heiligtumsfahrten, um ausschließlich Produkte für den nächsten Pilger-Ansturm zu fertigen. Insbesondere die neu aufkeimende Technik des Bilddrucks revolutionierte die Herstellung von Devotionalien aus unterschiedlichen Materialien, da sie es den Handwerkern ermöglichte, selbst filigrane Motive in großer Stückzahl herzustellen.
Ein Beispiel für solch ein Souvenir aus Aachen ist die Pilgerflasche aus der Sammlung des Museums für Kunst und Kulturgeschichte, deren dekorative Besonderheit in den aufgebrachten Bilddrucken zu beiden Seiten besteht. Das runde Behältnis wurde in flacher Feldflaschenform in hellgrauem Ton gebrannt und erhielt eine unterschiedlich farbige, glänzende Glasur. Zu beiden Seiten gibt es Ösen für einen heute verlorenen Trageriemen aus Leder. Die Vorderseite zeigt einen Engel, der das Kleid Mariens und zwei weitere Tuchreliquien präsentiert. Darunter ist das Wappen der Stadt Aachen zu erkennen. Ein Fries von Lilien umgibt die Darstellung, die durch einen Blattkranz von dem umlaufenden Schriftband getrennt wird. Diese Inschrift lautet: „Coept I fles van aken ter spoet en hout d‘ in heylich water tes goet.“ Übersetzt wurde der Satz mit: „Kauft eine Flasche aus Aachen sogleich und haltet darin heiliges Wasser, das ist gut.“[2] Rückwärtig erinnern Abbildungen des Heiligen Papstes Cornelius sowie darunter ein Wappen an die Wallfahrt zum Kloster Kornelimünster. Rechts ist der Maastrichter Heilige Servatius mit Petrusschlüssel, Kelch und Patenen dargestellt.
Zunächst wurden die Darstellungen je in Holz, Stein, Metall oder Ton geschnitten, um Model für die weitere Gestaltung zu erhalten. In diese Model konnte dann mehrfach das Material (Ton, Papiermaché, aber auch Marzipan und Hostien) gedrückt und nach dem Antrocknen entnommen werden. Anschließend wurden die einzelnen Formen auf dem Untergrund positioniert und verklebt, mit Stempeln und Punzen – zum Beispiel in Sternen- oder Buchstabenform – versehen und im Töpferofen gebrannt. Die Anordnung der Reliefs und die Verzierungen durch Punzen konnten durch diese Technik vor dem Brand variiert werden.
Ein Exemplar billiger Massenware ist diese Pilgerflasche trotz Verwendung der Vervielfältigungstechnik des Bilddrucks dennoch nicht: vielmehr stellte sie für den wohl eher wohlhabenden Käufer eine Kostbarkeit dar, die für den Transport von etwas ebenso Kostbarem, nämlich von heiligem und heilendem Wasser, dienen sollte, worauf die Umschrift hindeutet (s.o.). Die geringe Anzahl der erhaltenen Exemplare zeugt ebenfalls von einem schon damals höheren Wert der Flasche. Weltweit finden sich lediglich drei weitere Pilgerflaschen mit gleichen Darstellungen in leichter Variation.[3]
Im Juni 2028 wird die Heiligtumsfahrt wieder unzählige Pilger nach Aachen locken, um die historische Präsentation der vier Tuchreliquien mitzuerleben. Und auch dann werden wieder extra zu diesem Zweck hergestellte Souvenirs verkauft – wie schon seit bald 700 Jahren.
Anmerkungen:
[1] Am beliebtesten waren die Reisen ins Heilige Land, nach Rom oder zum Grab des Apostels Jacobus im spanischen Santiago de Compostela. Wem eine so weite Reise nicht möglich war, der besuchte wichtige „Ersatzwallfahrtsorte“ in seiner Umgebung.
[2] Fritz, Rolf: „Eine spätgotische Pilgerflasche zur Aachener Heiligtumsfahrt“, in KERAMOS 14/61, S. 76
[3] Zwei der drei Objekte finden sich im British Museum London und im Birmingham Museum and Art Gallery. Eine weitere Flasche wurde bei Ausgrabungen in Leiden gefunden (Abb. hierzu im Ausstellungskatalog „Judocus Vredis, Kunst aus der Stille – Eine Klosterwerkstatt der Dürerzeit“, S. 211
Literatur:
Fritz, Rolf: „Eine spätgotische Pilgerflasche zur Aachener Heiligtumsfahrt“, in KERAMOS 14/61, S. 3-13.
Grimm, Gerald Volker (Hrsg.): „Kleine Meisterwerke des Bilddrucks – Ungeliebte Kinder der Kunstgeschichte“, Aachen, 2011.
Ostkamp, Sebastiaan: „Productie en gebruik van pijpaarden en terracotta devotionalia in de Niederlanden (ca. 1350 – ca. 1550)“, S. 189 ff. in Ausstellungskatalog „Judocus Vredis, Kunst aus der Stille – Eine Klosterwerkstatt der Dürerzeit“, Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, 2001.
Schnitzer, Barbara K.: „Drei Pilgerflaschen zur Aachener Heiltumsfahrt“, in KERAMOS 76, S. 9-14.
Autor*in: Carolin Langenbahn
November 2024
Franz von Stuck. Frauenporträt, um 1910 (?)

Franz von Stuck (1863-1928)
Frauenporträt, um 1910 (?)
Pastell auf Karton
53 × 45 cm
Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland
Inv.-Nr. LG 121
Das „Frauenporträt“ von Franz von Stuck fällt besonders durch das ungewöhnlich, achteckige Format in kunstvoll gestaltetem Goldrahmen auf. Wenige, klare Linien zeichnen das elegante Gesicht einer Dame im Seitenprofil. Das Porträt in Pastellkreide zeigt eine junge, erwachsene Frau in lockerem Gewand und schlichter Kette, das dichte, dunkle Haar locker hochgesteckt. Wer bei einem Besuch des Museums für Kunst und Kulturgeschichte besonders aufmerksam die Beschriftung neben dem Bildnis liest, dem könnte der Zusatz „LG 121 Bundesrepublik Deutschland“ aufgefallen sein. Was hat es damit auf sich?
Neben Werken aus der eigenen Sammlung präsentiert das Museum in seinen Räumen auch ausgewählte Leihnahmen. Das Inventarkürzel „LG“ verweist auf solche geliehenen Ausstellungsobjekte. Sie können aus verschiedenem Privatbesitz stammen oder werden von anderen Institutionen zur Verfügung gestellt. Eine Sonderstellung nehmen die Leihgaben des Kunstbestandes der Bundesrepublik Deutschland ein, der u. a. Kunstwerke aus ehemaligem Reichsbesitz umfasst. Bei Bestandsaufnahme nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde deutlich, dass dieses frühere Staatseigentum des Dritten Reichs zu großen Teilen von unklarer Herkunft war. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Kunstwerke Menschen gehört haben, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden und es sich um sogenannte NS-Raubkunst handelt. Trotz der frühen Bemühungen der Alliierten um Rückgabe an rechtmäßige Eigentümer*innen, verblieben etwa 20.000 Kulturgüter im Besitz des Bundes. Um diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, konnten sich deutsche Museen um Leihgaben aus diesem Bestand bewerben. So gelangte das vorliegende Bildnis 1981 in das Dortmunder Museum, wo es seither die Jugendstil-Sammlung des MKK bereichert.
Nur wenig ist über die Geschichte des Porträts bekannt. Es wurde am 13.05.1942 im Berliner Auktionshaus Hans W. Lange zum Verkauf angeboten und von der Reichskanzlei für das geplante „Führermuseum“ in Linz erworben. Der Auktionskatalog gibt die Person, die das Bild hat versteigern lassen, abgekürzt mit „de B., Berlin“ an. Sie konnte bislang nicht identifiziert werden. Somit bleibt das Schicksal des Porträts während der nationalsozialistischen Herrschaft weiterhin unklar.
Erschwert wird die Recherche zudem durch den Umstand, dass vermutlich mindestens zwei weitere Fassungen der Porträtzeichnung existieren. 1996 bot die Berliner Kunsthändlerin Dr. Irene Lehr ein in Format (52,8 × 44,6 cm) und Darstellung sehr ähnliches Exemplar an, ebenfalls in oktogonalem Künstlerrahmen. Über die Münchener Kunsthandlung Ketterer gelangte es in die Schweiz. 2014 tauchte im Kölner Auktionshaus Van Ham eine ovale, also dritte, Fassung des Porträts auf, das sich vor allem in der Stofflichkeit der Bluse von der Dortmunder Version unterscheidet. Dort ist zudem unter der Halskette im Dekolletébereich eine weiß schraffierte Fläche angelegt, die in der Van Ham Variante fehlt.
Erst kürzlich erreichte das Museum ein Hinweis zur Identität der bislang unbekannten Dargestellten – es soll sich um Paula Schoeller (1887-1982), geborene de Crignis handeln. Paula lernte ihren späteren Ehemann, den Chemiker Walter Julius Viktor Schoeller (1880-1965), während des Ersten Weltkrieges kennen, das Paar heiratete 1918 in München. Also in der Stadt, in der der bedeutende deutsche Jugendstilkünstler Franz von Stuck lebte und arbeitete, der das Porträt zeichnete. Betrachtet man das Gesamtwerk Stucks, so fällt darin die große Anzahl Porträts auf. Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten seines Schaffens finanzierte der zu Lebzeiten schon sehr bekannte Maler sich über Auftragsarbeiten einen ausschweifenden Lebensstil. Sehr wahrscheinlich ist das vorliegende „Frauenporträt“ im Rahmen einer solchen Kommission entstanden. Es wurde bislang auf um 1910 datiert, sollte es jedoch tatsächlich Paula Schoeller darstellen, so wäre auch denkbar, dass es erst anlässlich der Hochzeit um 1918 gefertigt worden ist. Bereits Ketterer hatte die 1997 dort befindliche Fassung auf um 1910/1920 datiert.
Ein Foto Paula Schoellers, das sie in einem höheren Alter zeigt, liegt vor und eine Ähnlichkeit zur Porträtierten ist durchaus ersichtlich. Jedoch sind im Gesicht der Dame, wie für Stucks Auftragsporträts typisch, kaum charakterisierende, individuelle Züge zu finden. Stuck reduziert die Linien vielmehr auf das Wesentliche und erreicht dadurch eine hohe malerische Eleganz. Dadurch wirkt das Bildnis eher dekorativ, denn psychologisch. Für eine zweifelsfreie Identifikation sind weitere Quellen notwendig. Die Recherchen zu dem Porträt, der Dargestellten und den weiteren Fassungen dauern an.
Autor*in: Eline van Dijk
Die Autorin dankt Yvonne Weigert, der Enkelin Paula Schoellers, für den Hinweis auf die mögliche Identität der Dargestellten.
Oktober 2024
Mokkatasse mit „Libellendekor“, 1909

Mokkatasse mit „Libellendekor“
Entwurf: Alf Wallander, 1909
Schweden, Manufaktur Rörstrand
Porzellan, H: 6 cm, B: 7,8 cm
Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Inv.-Nr. 2007/80.1-2
Provenienz: Ankauf aus der Sammlung E. G. Lihl, Dortmund
Klein und zart wirkt die Mokkatasse mit dem rosa-lilafarbenem Libellenmotiv zwischen den anderen Kunstwerken des Jugendstils in der Dauerausstellung des MKK. Als Teil eines Kaffee-Tee-Services wurde sie von Alf Wallander entworfen für die Stockholmer Kunstgewerbe-Ausstellung im Jahr 1909. Am Ende des Jugendstils steht sie in einer langen Reihe mit weiteren Entwürfen Wallanders, die er ab 1896 mit floralen oder tierischen Motiven in Unterglasurmalerei und Reliefverzierung entworfen hat. Die Verwendung von Motiven aus Flora und Fauna kann man bei figürlichem Porzellan bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Im Jugendstil sind sie ausgesprochen beliebte und vielfältig ausgeführte Motive, die sich in allen künstlerischen und kunsthandwerklichen Bereichen finden lassen. Floral gestaltetes Mobiliar, Teppiche mit Blüten und/oder Tieren, Bucheinbände, um die sich Lilien winden, Druckwerke mit Seerosen und Unterwasserwesen oder Ess- und Kaffeegeschirr in dieser Gestaltung gehören zum modern eingerichteten Haushalt in der Zeit des Jugendstils.
Die Manufaktur Rörstrand, die erste und auch heute noch bedeutende schwedische Porzellanmanufaktur, war in ihren Anfängen vor allen Dingen bekannt für Produkte aus Steingut und Majolika. Die Fabrik befand sich zunächst in Stockholm im Schloß Rörstrand, daher der Name, später wurde sie nach Göteborg verlegt. Eine Veränderung der Produktpalette vom Steingut zum Porzellan und damit zum industriellen Großbetrieb wurde notwendig, um den Anschluss an die dänische Konkurrenz (Royal Copenhagen/Königliche Porzellanmanufaktur Kopenhagen und Bing & Gröndahl, Vesterbrogade/Kopenhagen), die sich bereits dem modernen Porzellan zugewendet hatte, nicht zu verlieren. Die Verpflichtung des Künstlers Alf Wallander sollte auch für Rörstrand den Durchbruch auf internationaler Ebene bringen.
Alf Wallander (*1862 in Stockholm; † 1914 ebd.) war Maler, Grafiker und Kunsthandwerker. Er studierte an der Königlich Schwedischen Akademie der Künste und bei Aimé Morot und Jean-Joseph Benjamin-Constant in Paris. Seine erste Salonausstellung hatte er 1889. Außerdem wurde er im selben Jahr auf der großen Pariser Weltausstellung für ein Pastellgemälde mit dem ersten Preis ausgezeichnet.
Er kehrte 1890 von Frankreich nach Schweden zurück und schloss sich der Künstlergruppe "Opponenterna" an, die den Lehrmethoden der Schwedischen Akademie sehr kritisch gegenüberstand. Zudem war er auch Mitglied des Konstnärsförbundet, dem schwedischen Künstlerverband. Von 1895 bis 1896 absolvierte er ein Studium der Radierung bei Axel Tallberg. 1896 wurde er Kunstassistent in der Porzellanmanufaktur Rörstrand, im Jahr 1900 wurde er zum künstlerischen Leiter ernannt. Ab 1908 war er auch bei der Kosta Glashütte als Entwerfer tätig. Von 1910 bis zu seinem Tod war er Kurator der gemeinnützigen Künstlerorganisation "Sveriges allmänna konstförening" und unterrichtete Freihandzeichnen an der Technischen Schule. Seine Werke wurden auf diversen Ausstellungen in Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten ausgestellt.
Alf Wallander prägte ab 1896 durch seine künstlerischen Entwürfe und Modelle als freier Mitarbeiter die Produktion der Manufaktur Rörstrand. Angeregt durch dänische Produkte in Bezug auf die Unterglasmalerei und den Einfluss Frankreichs bei der plastischen Modellage führte Alf Wallander bei Rörstrand die Unterglasmalerei ein. Bevor er dort tätig wurde, beschäftigte er sich intensiv mit Kopenhagener Porzellan. Auf der Kunst- und Industrie-Ausstellung 1897 in Stockholm präsentierte die Manufaktur Rörstrand dreißig verschiedene Tafelservice aus Steingut und unterschiedlichen Porzellanen. Die modernen Schalen, Vasen und Flaschen von Wallander und anderen Mitarbeitern zeigten mit Unterglasurfarbe gemalte und oftmals reliefartig ausgeprägte Motive. Diese Modelle brachten den internationalen Durchbruch, der durch die Teilnahme an der Weltausstellung 1900 in Paris, 1902 bei der Ausstellung für moderne dekorative Kunst in Turin und der Weltausstellung 1904 in St. Louis, gefestigt wurde.
In dieser Tradition steht die kleine Libellentasse, die als Entwurf von Alf Wallender/Rörstrand die Jugendstil-Sammlung des Museums bereichert.
Autor*in: Elke Torspecken
Literatur:
Porzellan. Kunst und Design 1889 bis 1939. Vom Jugendstil zum Funktionalismus.
Bröhan-Museum, Berlin 1996.
„All Nations Are Welcome – Porzellan der Weltausstellungen 1851-1910“.
Katalog zur Ausstellung. Deutsches Porzellanmuseum. Hohenburg a.d. Eger (Hg.), 2002.
Faszination Tier. Meisterwerke europäischer Tierplastik. Die Sammlung Gerhard P. Woeckel. Deutsches Porzellanmuseum. Hohenburg a.d. Eger (Hg.), 2004.
September 2024
Deutscher Meister, Die Schwestern, um 1820/30

Deutscher Meister (ehemals Rudolf Friedrich Wasmann (1805-1886) zugeschrieben)
Die Schwestern, um 1820/30
Öl auf Leinwand
60,5 x 66,5 cm
Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Inv.-Nr. C 4719
Provenienz: Galerie Fritz Gurlitt, Berlin 1941
Geschwisterbeziehungen in der Kunst: Harmonie und Konflikt
Eine der längsten Beziehungen in unserem Leben haben wir mit unseren Geschwistern – ob wir wollen oder nicht. Dass diese nicht immer harmonisch verläuft und auf inniger Geschwisterliebe beruht, zeigen unter anderem berühmte Geschwisterpaare wie Kain und Abel oder Romulus und Remus. Daneben zeugen selbstverständlich vielzählige Beispiele von positiv dargestellten Geschwisterbeziehungen, man denke aus popkultureller Sicht nur an die beiden Schwestern Anna und Elsa aus dem Hause Disney.
In der Kunstgeschichte sind Geschwisterdarstellungen bisher kaum ein Thema gewesen, obwohl es davon zahlreiche gibt und das schon seit vielen hundert Jahren. Die Kunsthalle Tübingen hat dies mit ihrer Ausstellung „Sisters & Brothers. 500 Jahre Geschwister in der Kunst“ im Jahr 2022 umfassend gezeigt.[1] Die Darstellung von Schwestern und Brüdern ist dabei immer geprägt von den gesellschaft-lichen Auffassungen von Familie und den unterschiedlichen Vorstellungen von Geschwisterlichkeit in den jeweiligen Epochen.
Gesellschaftliche Einflüsse auf Geschwisterdarstellungen
So zeigt das biedermeierliche Doppelporträt „Die zwei Schwestern“ von einem Deutschen Meister aus der Zeit um 1820/30, zwei uns unbekannte junge Frauen vor einem Hintergrund mit blauem Himmel, Wolken und Bäumen. Vermutlich handelt es sich bei den beiden Dargestellten um Zwillingsschwestern. Die beiden stehen sehr nah beieinander und sind durch die beziehungsstiftende Geste des Händehaltens miteinander verbunden, wodurch Vertrautheit und Einheit vermittelt wird. Gerade die Darstellungen von Zwillingen sind prädestiniert dafür, eine einheitliche und harmonische Gemeinschaft zu verkörpern.[2] Die beiden Frauen schauen dabei den Betrachtenden an. Individualisierende Attribute oder Unterschiede im Habitus sucht man hier vergebens. Die beiden Frauen tragen Kleider, die sich auf den ersten Blick nur durch ihre Farbe unterscheiden und haben entsprechend der zeitgenössischen Mode ihre Haare gleich frisiert. Die Interaktion der Beiden ist auf ihre Verbundenheit und schwesterliche Einheit reduziert. Neben dem Ideal der Anmut und Schönheit des Biedermeiers, steht die ideale Darstellung von Freundschaft und Geschwisterliebe deutlich im Vordergrund dieses Gemäldes, sowohl motivisch als auch formal.
Das Doppelporträt als Symbol schwesterlicher Einheit
Schwesterliche Doppelporträts sind seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eng mit dem auf-kommenden Freundschaftskult der Zeit verknüpft und eine „Zuspitzung auf die rein idealfreundschaftliche Qualität der Schwesternbeziehungen [nimmt] zu.“[3] Die Verbürger-lichung der Gesellschaft, die sich im 18. Jahrhundert durchsetzt und einen tiefgreifenden sozialen und kulturellen Wandelt mit sich bringt, sorgt unter anderem dafür, dass neben Großfamilien als Produktionsgemeinschaft nun auch die Kleinfamilie als „Keimzelle des Staates“ auftritt. Die Familie wird als Hort von Emotionalität verklärt und Gefühle ins Private und damit in die Familie und in die Freundschaft verlagert. Dies sorgt für eine sentimentale Aufladung der Bindungen innerhalb der Familie: zwischen Eltern und Kindern, aber eben auch zwischen Geschwistern.[4] Gleichzeitig gewinnen freundschaftliche Beziehungen eine neue Bedeutung und der daraus resultierende Freundschaftskult nimmt auch Einfluss auf die Darstellung von Schwestern. Diese werden nun wie Freundinnen in inniger Verbundenheit dargestellt und die Geschwisterbeziehung verklärt, denn Konflikte sind zu dieser Zeit nicht bildwürdig. Ebenso wenig findet man in der Darstellung einen emanzipatorischen Impetus. Vielmehr sind geschwisterliche Liebe und Freundschaft zu dieser Zeit Zeichen für einen sittlichen und tugendhaften Menschen. So entstehen ab dem 18. Jahrhundert zahlreiche Freundschaftsbildnisse, die enge Verbundenheit und liebevolle Zuneigung darstellen und die Gattung erlebt im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt. In dieser Tradition steht auch das Gemälde der zwei Schwestern aus unserer Sammlung, welches das gängige Muster geschwisterlicher und freundschaftlicher Eintracht zeigt.
Autor*in: Joana Maibach
Literatur:
Brigitte Buberl und Museum für Kunst und Kulturgeschichte (Hg.): Von Friedrich bis Liebermann, Ausstellungskatalog, Frankfurt 1999.
Nicole Fritz und Kunsthalle Tübingen (Hg.): Sisters & Brothers. 500 Jahre Geschwister in der Kunst, Ausstellungskatalog, Köln 2022.
[1] Die Ausstellung war die erste große Überblicksdarstellung zu dem Thema.
[2] Nicole Fritz: Repräsentanten, Freundinnen, utopische Denkfigur. Schwestern und Brüder im Spiegel der Kunst, S. 12 - 21, hier: S. 19, in: Sisters & Brothers. 500 Jahre Geschwister in der Kunst, hg. v. ebd. und Kunsthalle Tübingen, Köln 2022.
[3] Tilo Grabach: Ideale Schwestern. Vier Beispiele aus drei Jahrhunderten, S.22 - 31, hier: S. 28, in: Sisters & Brothers. 500 Jahre Geschwister in der Kunst, hg. v. Nicole Fritz und Kunsthalle Tübingen, Köln 2022.
[4] Ebd., 14 ff.
August 2024
Bernhard Hoetger, Figur „Sieg“ aus dem Majolikenzyklus „Licht- und Schattenseiten“, um 1912

Sieg, um 1912, aus dem Majolikenzyklus „Licht- und Schattenseiten“
Bernhard Hoetger (1874-1949)
Irdengut, engobiert, teilweise blau bemalt, transparente Bleiglasur
Signatur: KTK im Quadrat
H: 65,5 cm, B: 34,5 cm, T: 25,5 cm
Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Inv.-Nr. C 6085
Der Dortmunder Bildhauer, Maler, Architekt und Kunstgewerbler Bernhard Hoetger (1874-1949) entwarf 1911/12 während eines Aufenthalts in Florenz den Majolikenzyklus „Licht- und Schattenseiten“. Er ließ die Figurengruppe 1912 von dem Keramiker Max Laeuger (1864-1952) in der Kunsttöpferei Tonwerke Kandern (KTK) ausführen, die zu einer der bedeutendsten Kunsttöpfereien Deutschlands zählte. Anschließend wurden die Majoliken von der Dresdener Galerie Arnold vertrieben.
Die aufrechtstehende Figur mit der Bezeichnung „Sieg“ gehört zu diesem 15figurigem Ensemble. Der weiblicher Halbakt mit asiatischen Gesichtszügen trägt eine ballonartige Kopfbedeckung und ist umhüllt mit einem voluminösen, antikisierenden Gewand. Die Majolikafigur hat die Augen niedergeschlagen und beide Hände erhoben. Allein der Sockel ist blau bemalt, Körper und Bekleidung des „Sieges“ bleiben als Reminiszenz antiker Marmorfiguren nahezu farblos.
Das Exemplar „Sieg“ im Museum für Kunst und Kulturgeschichte wurde 1967 aus der Nachlassauktion des Keramikers Richard Bampi (1896-1965) erworben und ist wohl nur durch wenige Hände gegangen. Denn Bampi gründete 1927 nach Auflösung der KTK die Fayence-Manufaktur Kandern GmbH. Sein Geschäftspartner war der Keramiker Hermann Hakenjos (1879-1961), der seit 1914 Laeugers Nachfolger in der KTK gewesen war.
Der „Sieg“ ist formal gesehen ein Solitär in dem Figurenensemble Licht- und Schattenseiten. Denn im Gegensatz zu dieser stehenden Figur sitzen, hocken oder liegen die weiteren Frauen- und Männergestalten. Diese bilden zudem – laut Aufstellungsplan des Künstlers – Gegensatzpaare. Sie sollen einander gegenüberstehen: zur Linken des „Siegs“ die Figuren des Lichts und zur Rechten die Figuren des Schattens. Bildnerisch passen die jeweiligen Paare zueinander, aber ihre Betitelung schafft wohl mit Absicht Verwirrung, steht doch die „Liebe“ der „Hinterlist“, die „Wahrheit“ der „Rache“, die „Milde“ dem „Geiz“, die „Güte“ dem „Hass“, der „Glaube“ die „Wut“ und der „Hoffnung“ die „Habgier“ gegenüber. Allein die namensgebenden Figuren „Licht“ und „Schatten“ sind exakte Gegensätze, ein wenig Ordnung im Chaos, das überhandzunehmen scheint. Über allen ragt der „Sieg“ quasi als unparteiische Richterin, deren erhobene Hände mehr als Beschwichtigungsgeste als eine Orantenhaltung interpretiert werden kann. Ganz neutral ist diese Figur nicht, denn der Kontrapost lässt eine leichte Tendenz zur Lichtseite des Zyklus annehmen. Die Majolika „Sieg“ wirkt dadurch auch als eine Botschafterin moralischer Größe.
Bernhard Hoetger, Sohn eines Schmieds aus Hörde, arbeitete zunächst als Steinmetz, bevor er 1898 an der Düsseldorfer Kunstakademie Bildhauerei studierte. Anlässlich der Weltausstellung reiste er 1900 nach Paris und blieb dort fünf Jahre. Hier lernte er Auguste Rodin und Paula Modersohn-Becker kennen und eroberte sich den Kunstmarkt. 1908 wurde Bankier Freiherr August von der Heydt auf ihn aufmerksam und holte ihn nach Elberfeld. Großherzog Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein berief ihn 1911 an die Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe. 1914 ließ sich Hoetger in Worpswede nieder, dessen architektonische Erscheinung er nachhaltig prägte. Der Keksfabrikant Hermann Bahlsen zählte 1917-1919, der Kaffeemagnat Ludwig Roselius ab 1923 zu seinen Förderern. Im Auftrag von Roselius baute Hoetger das Paula-Becker-Modersohn-Haus (1926/27) und das Haus Atlantis (1930/31) in der Bremer Böttcherstraße.
Im NS-Staat wurde Hoetger von der Presse stark angegriffen, das Friedrich Ebert-Denkmal (1928) in Dortmund-Hörde, das Bremer Revolutionsdenkmal (1922) und die Figuren am Bremer Volkshaus (1928) demontiert. Dennoch trat er 1934 der Auslandsorganisation der NSDAP bei, wurde aber 1938 wieder ausgeschlossen. Ein Jahr zuvor hatten die Nationalsozialisten im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ 14 Kunstwerke aus Museumsbesitz beschlagnahmt, darunter auch die Bronze Sent M’Ahesa (1922) im Museum für Kunst und Kulturgeschichte. 1946 siedelte Hoetger in die Schweiz über, wo er drei Jahre später in Interlaken verstarb. 1968 erhielten er und seine Frau ein Ehrengrab auf dem Dortmunder Ostfriedhof.
Autor*in: Ulrike Gärtner
Literatur: Licht und Schatten. Bernhard Hoetger Majoliken 1910-1912. Ausst.-Kat. Bremer Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, hrsg. von Jörn Christiansen. Bremen 1993.
Juli 2024
Plastic Armchair, DAX, 1948/50

Plastic Armchair, DAX, 1948/50
Ray & Charles Eames
Ausführung: Herman Miller
Glasfaserverstärktes Polyesterharz, Rundstahl, Gummi
79 x 63 x 60,5 cm
Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Inv.-Nr.: 1990/217
We wanted to make the best for the most for the least.
Charles Eames (1907-1978), Eero Saarinen (1910-1961) und Marli Ehrman (1904- 1982) gewannen 1940 einen Wettbewerb des Museums of Modern Art (MoMA) New York, das Designer aufgefordert hatte, Möbel, Lampen und Textilien mit organischen Formen einzureichen. Ihr Wettbewerbsbeitrag war der „Low-Back Chair“ und der „High-Back Armchair“. Die Arbeiten wurden 1941 in der Ausstellung „Organic Design in Home Furnishings“ im MoMA präsentiert. Die Ausstellung machte vor allem Charles Eames und Eero Saarinen als moderne Designer in der ganzen Welt bekannt.
Charles Eames gründete daraufhin gemeinsam mit seiner zweiten Frau Ray Eames, geb. Kaiser (1912-1988) im Jahr 1941 das „Eames Office“, ein Büro für Gestaltung mit wichtigen Architekt*innen und Designer*innen. Es befand sich am 901 Washington Boulevard, Venice Beach California und zählte zu den besten Adressen für Design. Charles und Ray Eames hatten sich als Ziel vorgenommen, preiswerte und komfortable Stühle zu erstellen. Sie war Künstlerin, er technischer Designer, Architekt und Maler. Wir verdanken ihnen die Entstehung und Entwicklung US-amerikanischer Design-Möbel in der Nachkriegszeit. Die Sichtbarkeit ihrer Arbeit wirkt kontinuierlich bis ins 21. Jahrhundert.
Im Auftrag der US-Regierung hatten Charles und Ray Eames während des Zweiten Weltkriegs für die Navy Beinschienen aus durch Dampf verformten Birkenholz entwickelt. Die Erfahrung mit diesem Material war entscheidend für die Entstehung neuer Sitzmöbel. Aus der Technik des Verbiegens von Schichtholz unter Dampfeinfluss zu dreidimensional geformten Dingen resultieren viele Ideen für neue Stühle. Dazu gehören die 1945/46 entwickelten Modelle der Plywood Group. Die unverkennbaren Stühle sind auch heute aus Büros und Wohnräumen nicht mehr wegzudenken. Zeitlos, schön, bequem und perfekt in ihrer Schlichtheit.
Der Dinnig Armchair X-Base, kurz DAX genannt, wurde 1948/50 entwickelt. Er war der erste massenproduzierte Stuhl überhaupt und markiert den Beginn der Kunststoffmöbel-Produktion. Am 9. Januar 1950 startete die erste Produktion bei Zenith Plastics Co. Gardena mit 2000 Exemplaren des Stuhls. Der DAX Chair fasziniert mit seiner organischen Form. Die elegante gebogene Sitzschale folgt der Anatomie des Menschen, umfließt quasi dessen Körper. Das Vierbein-Stahlrohrgestell vervollständigt den neuen Sitz. Gummi-Aufsätze dienen als Schutz für Bodenflächen.
Die Sitzschale des Prototyps des Designklassikers wurde zunächst aus Metall in der Automobilindustrie hergestellt. Diese war aber für eine Massenproduktion zu teuer. Während des Baus ihres Hauses lernte das Ehepaar die Eigenschaften von Kunststoff kennen und experimentierte fortan mit dem neuen Material. In ihrem Auftrag fertigte John Wills, der aus Fiberglas Boote und Karosserieteile herstellte, zwei Sitzschalen.
In der Zusammenarbeit mit dem US-amerikanischen Möbelhersteller Herman Miller entstand schließlich der Designklassiker aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) und Metall. Das GFK-Material war bereits in der 1930er Jahren in den USA entwickelt worden und hatte einen vielfältigen hohen Einsatz in der Industrieproduktion. Miller produzierte das Modell ab 1951 auch mit anderen Untergestell-Varianten. Aus ökologischen Gründen stellte Herman Miller ab 1970er Jahren die Produktion um und verwendet seither Polypropylen bei der Produktion der Sitzschale. Seit 2013 werden auch wieder Schalen aus Fiberglas hergestellt. Die berühmte Sitzschale wird nun je nach Wunsch sogar mit Polster bestückt. Nach wie vor sind diese Stühle sehr begehrt. Vitra ist der einzige Hersteller für Eames Design Produkte in Europa.
Autor*in: Edyta Gronert
Literatur
Allgemeines Künstler Lexikon, Band, S. 484-485; Band 31
Atlas des Möbeldesigns. Hrsg. vom Vitra Design Museum, Weil am Rhein 2019, S. 410
Gloria Koenig: Charles & Ray Eames. Vorreiter der Nachkriegsmoderne, Köln 2023
www.vitra.com
Eames: The Architect and the Painter, Film 2011
Juni 2024
Gemälde "Muttergottes"

Westfalen (Nachfolge Conrad von Soest),
Muttergottes mit Kind, Anfang 15. Jahrhundert
Tempera auf Tannenholz | 31,2 x 23,3 cm
Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund
Inv.-Nr. C 5634
Provenienz: Sammlung Dr. Heinrich und Hildegard Becker, Dortmund/Gevelsberg, erworben 1962 mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Westdeutschen Rundfunks. Die Provenienz ist für den Zeitraum zwischen 1933 und 1945 nicht eindeutig geklärt, es bestehen Provenienzlücken. Die Herkunft wird weiter von uns erforscht.
Das Land, wo Milch und Honig fließen, ist das gelobte Land Palästina.
Mutter und Kind in einem innigen Moment, wie er menschlicher und intimer kaum sein kann: beim Stillen. Dargestellt sind Mutter und Baby, das seinen Mund an der kaum erkennbaren – weil mit Kleidung bedeckten – Brust seiner Mutter hat und nuckelt, wie es Säuglinge tagtäglich auf der ganzen Welt tun. Die Darstellung ist in ihrer Räumlichkeit stark reduziert und auf die beiden Figuren konzentriert. Der Kontrast aus dunkelblauem Tuch und Goldhintergrund erzeugt eine gefasste Spannung. Der Blick von Mutter wie Kind geht ins Innere, beide erscheinen dadurch stark vergeistigt. Die Personen sind Maria, die christliche Muttergottes, und Jesus, der als Gott Mensch geworden ist.
Schon im Ersten Testament ist Milch ein positives Zeichen und steht für die Hoffnung auf ein besseres Leben. Es kommt häufig in der Kombination mit Honig vor. Das Saugen der Milch verbildlicht andererseits die Übertragung von Weisheit oder Göttlichkeit. Diesen Topos machen sich zuweilen auch andere zu eigen, obwohl sie das Babyalter längst hinter sich haben. So hatte der Kirchenvater Bernard de Clairvaux im 12. Jahrhundert die Vision, dass die Milch Mariens ihn erquickt habe und er dadurch zu „honigfließender Beredsamkeit“ gelangt sei. In der Malerei wird er milchsaugend dargestellt.
Aber unser mittelalterliches Motiv findet nicht nur Nachahmer, es hat auch alte Vorfahren. Vermutlich hat sich das Bildschema aus dem koptischen Christentum entwickelt. In Ägypten hatte es bereits seit tausend Jahren die Darstellung der Muttergöttin Isis gegeben, die den Sonnengott und späteren Herrschergott über Ägypten Horus stillt, als das Christentum sich in Alexandria etablierte. Schon zu dieser Zeit galt die Milch der Isis als göttlich, so dass Pharaonen sich in Kunstwerken öfter an die Stelle von Horus setzten und sich als an der Brust von Isis saugend darstellen ließen. Irdische Macht wurde so göttlich legitimiert. Diese Konstellation beibehaltend, änderte sich fast nur das Personal.
Die Milch als Quelle göttlicher Kraft kommt auch in der griechischen Mythologie vor und erklärt nebenbei den Namen unserer Galaxie: Göttervater Zeus hat mit der sterblichen Alkmene einen Sohn, Herakles, der durch seine Mutter nur ein Halbgott ist. Um seinen Sohn götterfester zu machen, legt er ihn an die Brust seiner schlafenden Frau Hera, die vom stark saugenden Herakles erschreckt aufwacht und ihn von sich stößt, wobei sich aus ihrer Brust ein Schwall Milch (griech. „gala“) ergießt, der heute noch am Nachthimmel als langer weißer Streifen zu sehen ist (griech. Milchkreis: „galaxias kyklos“).
Diese Bedeutungsdimension fließt im Spätmittelalter in das beliebte Motiv der sogenannten Maria lactans, der säugenden Muttergottes, wie wir sie in unserem Gemälde sehen. Es vereinigt zwei sehr verschiedene Eigenschaften krass in sich: die irdisch-menschliche Körperlichkeit Jesu und die Betonung seiner Göttlichkeit durch die Aufnahme der Milch. Mit heutigen Begriffen könnte man sagen: ein Säugetier als Heiland.
Das feine Gemälde ist typisches Kind der spätmittelalterlichen Malerei, die vor allem in Deutschland der „Weiche Stil“ genannt wird oder eben auch der „Internationale“, weil er in ganz Europa um und nach 1400 verbreitet war. Charakteristisch sind die feinen Faltenwürfe und die zarten Konturlinien sowie die Themen, die sich nach der Entwicklung eines veritablen Marienkults meist um die liebliche Muttergottes drehen.
Unser Gemälde ist im Umkreis von Conrad von Soest entstanden und gehört damit nicht nur dieser Künstlergeneration des Weichen Stils an, sondern Conrad – der in seiner frühen Zeit in Paris gelebt hat und ein herausragender Vermittler der hochstehenden französisch-flämischen Malerei war – und sein Umkreis haben diese Richtung vor allem in Norddeutschland maßgeblich mitgeprägt. Conrad gilt als Hauptvertreter des Weichen Stils im deutschsprachigen Spätmittelalter. Er wurde um 1370 in Dortmund geboren und lebte bis nach 1422 hier. Zu seinen bekanntesten Werken und sicheren Zuschreibungen gehört neben dem Altar in Bad Wildungen derjenige in der Dortmunder Marienkirche.
Autor*in: Christian Walda
Literatur:
Arthur Engelbert 1995: Conrad von Soest. Ein Dortmunder Maler um 1400, Dortmund.
Brigitte Corley 2000: Conrad von Soest. Maler unter fürstlichen Kaufherren, Berlin (engl. zuerst 1996).
Thomas Schilp und Barbara Welzel (Hg.) 2004: Dortmund und Conrad von Soest im spätmittelalterlichen Europa, Bielefeld.
Brigitte Buberl (Hg.) 2004: Conrad von Soest. Neue Forschungen über den Maler und die Kunstgeschichte der Zeit um 1400 (Bd. 1 v. Dortmunder Mittelalter-Forschungen. Schriften der Conrad-von-Soest-Gesellschaft, Verein zur Förderung der Erforschung der Dortmunder Kulturleistungen im Spätmittelalter, hg. v. Thomas Schilp und Barbara Welzel), Bielefeld.
Mai 2024
Gemälde von Franz Ludwig Catel: Morgenstimmung am Albaner See, um 1830
Öl auf Leinwand
Objektmaß: 56,5 x 75,3 x 2,4 cm
1993/3

Alle Wege führen nach Rom ... oder in die Albaner Berge. Auf den antiken Straßen „Via Tuscolana“ oder „Via Appia“ gelangt man von Rom in südöstlicher Richtung in die Colli Albani. Die Landschaft wird hügelig, kleine Dörfer schmiegen sich an die Hänge. Bereits in der Antike war die Gegend das bevorzugte Erholungsgebiet der wohlhabenden Römer*innen, später der römischen Adelsfamilien und der Päpste, die hier ihre Villen und Burgen besaßen. Daher der Name "Castelli Romani".
Fast 1000 Meter hoch erhebt sich der Monte Cavo, den die Römer*innen "mons albanus" nannten und als Sitz ihres höchsten Gottes Jupiter verehrten. Tatsächlich ist er - wie die ganze Region - das Überbleibsel eines gigantischen Vulkans, der erst Jahrhunderte vor der Gründung Roms erloschen war. Das ehemalige Vulkangebiet, in dessen Mitte sich zwei Seen befinden, der Albaner- und der Nemisee, ist dicht mit Steineichenwäldern bewachsen. Der Blick schweift über sanfte Hügel, den Albaner See und die Weite der Campagna bis nach Rom und zum Tyrrhenischen Meer.
Aufgrund ihrer mythologischen und literarischen Bezüge sowie ihrer gesellschaftlichen Bedeutung wurde die Region seit dem 17. Jahrhundert von Landschaftskünstler*innen sehr geschätzt. Auch im 18. und 19. Jahrhundert behielt die „villegiatura“ für die Albaner Berge einen hohen Stellenwert. Künstler*innen und Reisende nutzten die Möglichkeit der gesellschaftlichen Zusammenkunft, des Rückzugs in die ländliche Abgeschiedenheit und ausgedehnter Wanderungen.
Unter „Villeggiare" versteht man die Erholung an einem angenehmen Ort. So war es Brauch der wohlhabenden Römer*innen, den Sommer in luftiger Landschaft zu verbringen, um der Schwüle der Hauptstadt zu entkommen. Besonders beliebt waren die Albaner Berge in den Sommermonaten auch bei Maler*innen, da in den Bergen immer ein laues Lüftchen ging und sich im Schatten der Bäume hervorragend Studien anfertigen ließen. Damals wie heute sind die Albaner Berge eine beliebte und häufig besuchte Region für Italienreisende, davon zeugen unzählige Briefe von Dichter*innen, Landschaftsgemälde und in heutiger Zeit Artikel, Fotografien und Social Media Beiträge.
Nach Rom! Dieses Ziel verband Generationen von Künstler*innen. Italien war für sie das Land der Sehnsucht, der Antike, der vermeintliche Ort der Unbeschwertheit und Zeitlosigkeit. Das Erlebnis der Bergwelt bei der Überquerung der Alpen, die Auseinandersetzung mit der Antike und die leuchtenden Farben des südlichen Lichts und das Erleben der Landschaft wurden für viele Künstler*innen zu entscheidenden Erfahrungen im künstlerischen Schaffensprozess, so auch für Franz Ludwig Catel.
Nach Lehr- und Studienjahren in Berlin, Dresden und Paris reiste Catel 1811 erstmals nach Italien und gelangte über Bologna, Florenz und Siena nach Rom, wo er sich niederließ und zu einem bedeutenden Vertreter der römischen Künstler*innenschaft wurde. Seine stimmungsvollen Landschaften, oft mit pittoresken Genremotiven angereichert, erfreuten sich bei einer internationalen Kundschaft großer Beliebtheit. Besonders begehrt waren seine Ansichten von Rom und Umgebung. Seine stimmungsvollen Dokumentationen von Landschaften, Bauwerken und Ruinen machten ihn schon zu Lebzeiten zu einem berühmten und wohlhabenden Künstler. Nach seinem Tode wurde das Vermögen in eine Stiftung für junge deutsche und italienische Künstler*innen umgewandelt. Gemeinsam mit anderen Künstler*innen fertigte er auf Wanderungen und Reisen Naturstudien an, die im Atelier zur Komposition der Gemälde mit den für ihn typischen Licht-, Luft- und Wassereffekten dienten.
Das Gemälde zeigt hoch über dem Albaner See, der in ein zartes Morgenrot getaucht ist, einen sich erhebenden Berg mit einer Kirche. Im Hintergrund ist eine hügelige Landschaft mit Häusern zu erkennen, vermutlich handelt es sich dabei um ein Dorf. Die sich anschließende weite Landschaft liegt im Dunst und wird vom Meer abgelöst. Durch die lasierende Malweise wird die dunstige Atmosphäre und das sanfte Licht des Sommermorgens hervorragend eingefangen.
In seinen anderen Werken beschäftigt sich Catel weniger mit der Landschaftsdarstellung. Er bereichert die Landschaftsmalerei mit Staffagefiguren und setzt sie als Hauptmotiv in seinen Bildern ein. Seine Werke sind daher eher der Genre- als Landschaftsmalerei zuzuordnen. Es ist ungewöhnlich, dass Catel bei dieser Darstellung auf Staffagefiguren verzichtet hat.
Das Gemälde wurde 1993 mit Unterstützung des Kultusministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen erworben.
Autor*in: Ann-Kathrin Mäker
Literatur:
Büttner, Frank, and Herbert Wilhelm Rott (Hg.): Kennst du das Land: Italienbilder der Goethezeit, Katalog zur Ausstellung in der Neuen Pinakothek, München 2005.
April 2024
Lackschränkchen
Holländisch, nach 1688
Weichholz, lackiert
71 x 38 x 22 cm
Inv.-Nr. C 5798 a-b

Das Lackschränkchen gehört zu den „Kleinen Möbeln“: ein nur 70 cm hohes Kabinettschränkchen, gefertigt aus Fichtenholz, schwarz lackiert und mit einer Goldmalerei versehen die Chinesen, Pagoden, Vögel und Blumen darstellt.
Möbelstücke – nach ostasiatischen Vorlagen lackiert und dekoriert – erfreuten sich vom späten 17. bis frühen 18. Jahrhundert an den europäischen Fürstenhöfen großer Beliebtheit. So auch dieses Stück. Es stammt aus dem Schloss Hehlen an der Weser (Grafen Schulenburg) und ist vermutlich aus dem Besitz von Sophie Charlotte von Hannover, Kurfürstin von Brandenburg (1668-1705), dorthin gelangt.[1]
Der Schrank steht auf einem tischartigen Unterbauch auf vier gewundenen Beinen, die mit einem x-förmigen Steg verbunden sind. Er kann durch zwei Flügeltüren geöffnet werden. Außen herum ist ein durchbrochenes Schweifwerk angebracht: ein Ornament aus Akanthus und zwei kleinen Muscheln auf beiden Seiten des rundbogigen Gesimses. Als Bekrönung des kleinen Schranks fungiert eine Kartusche mit Kurhut und dem Spiegelmonogramm SC. Dabei handelt es aller Wahrscheinlichkeit nach um das Monogramm der Kurfürstin Sophie Charlotte von Hannover.[2]
Im Inneren des Schränkchens gibt es zwei Reihen mit je drei kleinen Schubladen. Darüber verläuft ein Flachbrett, dessen oberer Teil rot gelackt ist. Die Schubladen sind wie der innere Teil der Türen weiß lackiert und mit bunten Chinoiserien bemalt und vergoldet.

Ihre Blütezeit erlebten solche Lackmöbel zwischen 1680 und 1720. Nachdem Ende des 15. Jahrhunderts der Portugiese Vasco da Gama den Seeweg nach Asien entdeckt hatte, verstärkte sich der Handel zwischen Europa und Asien. Die Ost-Indien-Compagnie verschiffte vor allem Silber nach China und kaufte dafür Porzellan und Stoffe an. Im Zuge dieses Handels gelangten auch ostasiatische Lackmöbel nach Europa und erfreuten sich zunehmender Beliebtheit. Im 17. Jahrhundert war die Nachfrage nach diesen ostasiatischen Lackarbeiten derart gestiegen, dass europäische Manufakturen begannen, die Möbel und die Lacktechnik zu kopieren. Vorausgegangen war 1688 die Veröffentlichung eines Handbuchs von Georg Paker und John Stalker, Treatease of Japanning an Varnishing, in dem die beiden nicht nur Rezepturen zur Herstellung der Lacke, sondern auch Arbeitsanleitungen zum Vorgehen beschrieben sowie Motive als Vorlage festhielten. Infolgedessen konnten die lackierten Waren nun überall hergestellt werden und es kam zu einem Preissturz für Importwaren. Die bunten Szenen im Inneren des Schränkchens sind vermutlich den Vorlagen aus dem Handbuch Treatease of Japanning an Varnishing nachempfunden. Allerdings lassen sich darin keine genauen Übereinstimmungen finden.
Der Kabinettschrank entstammt vermutlich aus einer holländischen Manufaktur, worauf die „gedrungene Form“ der Malerei schließen lässt, so jedenfalls folgert der Experte für Lackkunst, Walter Holzhausen, in einer Mitteilung an den früheren Museumsdirektor Rolf Fritz im Dezember 1963.
Die Funktion solcher Kleinmöbel ist nicht eindeutig zu bestimmen. Bei diesem handwerklich und künstlerisch vollendeten gearbeiteten Möbel handelt es sich jedoch nicht um ein Modell oder ein Spielzeug. Die Freude und Faszination an dem kleinen modischen Behältnismöbel dürfte im Vordergrund gestanden haben: Es diente vermutlich zur Aufbewahrung kleiner nützlicher Dinge wie Briefe, Schmuck oder Handarbeitsgerät.
Autor*in: Dr. Nassrin Sadeghi
Literatur:
Diessinger, Gunter Rudolf: Ostasiatische Lackarbeiten sowie Arbeiten aus Europa, Thailand und Indien, Sammlungskatalog Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig. Braunschweig 1990.
Himmelheber, Georg: Große Wunder. Kleine Möbel. Kassettenmöbel der Samlung Grothe, Dettelbach 2005.
Himmelheber, Georg: Kleine Möbel. Modell- Andachts- und Kassettenmöbel vom 13.-20. Jahrhundert, München 1979.
Holzhausen, Walter: Lackkunst in Europa, Braunschweig 1959.
Stalker, John ; Parker, George: A treatise of japaning and varnishing. London 1688. (in Auszügen einsehbar unter: https://collections.britishart.yale.edu/catalog/orbis:582427)
[1] Auskunft des Niedersächsischen Staatsarchivs vom 18. November 1963 an das Museum für Kunst und Kulturgeschichte.
[2] Aufgrund der Anbringung der Initialen und des Kurhuts ist eine Datierung des Schränkchens auf die Zeit zwischen 1688 und 1701 anzunehmen. Sophie Charlotte heiratete 1684 den brandenburgischen Kurprinzen Friedrich III. Dieser erhielt 1688 die Kurwürde. 1701 wurde Sophie Charlotte zur ersten Königin von Preußen gekürt.
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